Latzko, Andreas: Brief an Oskar Maurus Fontana. Amsterdam, 12.11.1932
AMSTERDAM, 12/XI.32
CLIOSTRAAT 20
TELEF. 91834
Lieber,verehrter Herr Fontana,-
es ist,oder es wäre eine Frechheit Sie mit der Uebergabe des beiliegen
den Manuscriptes zu belästigen,wollte ich nicht längst,aber längst schon
Ihnen schreiben.Oft sprachen wir mit de Jong von Ihnen,er hat Ihnen auch
Nachricht gegeben. glaube ich,aber er ist ein so märchenhaft leichter
Arbeiter,seinen letzten,jüngst erschienen grossen Roman von an die 400
dichtgedruckten Seiten schrieb er in genau 7 Wochen,und dieser Tage er
schien schon eine neue Vovelle in seiner klichierten Handschrift,im ganz
en Band sind keine 20 Worte durchgestrich3n.Wer so leicht arbeitet,kann
auch Briefe schreiben,-ich bin leider von jeher furchtbar gehandicapt
durch die Krankheit alles zehnmal umzukorrigieren,und nun kommt seit Jah
ren auch noch die physische Hemmung der ewigen Gesundheitsstörungen hin
zu,Sie können sich denken wie schwer es mir da wird,auch ausser der Ar
beitszeit am Schreibtisch zu sitzen.
Nicht dass ich,Gott behüte Sie anweinen will,das wäre heutzutage Wasser
ins Meer tragen,so ziemlich bei allen Kollegen,mit den wenigen Ausnahmen
der Stars à la Wassermann,Ludwig etc.die der Reihe nach auch hier "auf-
traten".
Wie geht es Ihnen immer,was arbeiten Sie,gerne hätte ich wieder einmal
Nachricht,der Himmel weiss,ob und wann ich einmal wieder nach Wien kann?
Den Winter über musste ich hauptsächlich an dem Buch "Unterwegs"meinen
eigenen Lebenserinnerungen (mit dem Gewicht auf der Kriegs und Umsturz
zeit (in der Schweiz und Deutschland)arbeiten,da mir diese Arbeit voraus
honoriert wurde von den hiesigen Parteiblatt,seiner Zeit eine ebenso gros
se Annehmlichkeit,als jetzt die Schattenseite ist,denn ich musste zwisch
endurch auch am "Lafayette"den ich für Grasset schreibe arbeiten,da die
Fortsetzungen in der Zeitung wöchentlich einmal erscheinen habe ich ja
Zeit,aber ich werde erst in einigen Wochen ganz fertig sein,und arbeite
lange schon ganz pour le roi de Prusse,wie Sie sich denken können,und
es ist noch mehr als zweifelhaft ob ich bei der politischen Lage ge
rade für dieses Buch überhaupt einen Verlag für die Ausgabe in der Origi
nalsprache finde?
Sie sehen,wie man ausführlicher wird,kommt man wider Willen ins Klagen,
es ist ja auch der raffinierteste Fluch,heute jemandem anzuwünschen er
möge die Freiheit eines "freien"Schriftstellers geniessen!Langsam langsam
fallen Zweig um Zweig auch alle ausländ.Valuten erst,u,dann die Verleger,
u.es bleibt zu letzt wirklich nur der Galgen.Viel anders wird es wohl
auch im Schatten des Stephanturmes nicht sein,ohne die Unfreiheit redak
tioneller Bindung ist die Kunst eines Prestidigitateurs würdig auf dem Damm
zu bleiben.
Ab und zu bringt mir ein hier wohnender holl.verheirateter Wiener Zeichner
eine alte Nummer des Tag,leider habe ich selten die Chance,Sie drinn zu
finden.Für Ihre liebenswürdige Erwähnung in der Kritik der Bearbei
tung der Köabund'schen Literaturgeschichte glaube ich Ihnen schon gedankt
zu haben!Ich träume übrigens davon,vielleicht gegen Ostern einen Radiovor
trag in Wien zu ergattern"DieRolle des Zufalls in der Geschichte