Sauer, Hedda: Brief an Reinhold Backmann. Prag, 29.12.1928
  • Wir haben den Weihnachtsabend ganz still
    verbracht - waren nicht einmal gemeinsam wie
    sonst auf dem Friedhof; es war kalt und wenn
    ich gegangen wäre, hätte sich mein Vater nicht abhalten
    lassen. So war ich mit ihm an dem milden, verre[g]-
    neten zweiten Feiertag dort. Ich kann es noch immer
    nicht fassen, dass er so still dort liegt; in der Vorrede
    zu den culturpolitischen Aufsätzen, (ich habe das
    Buch noch nicht, aber ist schon erschienen) heisst es
    „Er war bis zuletzt ein Werdender.“ - Mit Nadler heisst
    es auch Geduld haben; Bettelheim will ihm jetzt,
    für den kurzen Abriss (N. Öst. Bio.) ein Ultimatum
    stellen. Er, N., wollte zu Weihnacht seine 3. Auflage
    fertig machen, da hat er natürlich die neue Arbeit
    zurückgestellt. Von Enzinger habe ich mehrere Aufsätze
    bekommen; er will seine Tiroler Littgeschichte dem
    Andenken meines Mannes widmen - aber das habe
    ich Ihnen vielleicht schon erzählt. Von Frau K. bekam
    ich eine Karte von ihrer traurigen Winterreise zu ihrem
    Bruder - aber wenigstens freut sie sich heim; als nach
    dem Ort, wo sie dem Toten am nächsten ist.
    Meiner Schwester geht es besser; heut war ich, da ich selbst
    etwas unwol bin, zum erstenmal nicht bei ihr, hatte
    aber gute Botschaft. - Nochmals alles Liebe Ihnen
    Beiden zum neuen Jahr - sein Ende möge Sie, lieber
    Herr Studienrat, schon in gesicherter, ruhiger Arbeit
    finden. Das wenige, was ich dazu tun kann, soll geschehen;
    ich werde keinen Tag zögern. Herzlichst Ihre Hedda Sauer.