- Wir haben den Weihnachtsabend ganz still
verbracht - waren nicht einmal gemeinsam wie
sonst auf dem Friedhof; es war kalt und wenn
ich gegangen wäre, hätte sich mein Vater nicht abhalten
lassen. So war ich mit ihm an dem milden, verre[g]-
neten zweiten Feiertag dort. Ich kann es noch immer
nicht fassen, dass er so still dort liegt; in der Vorrede
zu den culturpolitischen Aufsätzen, (ich habe das
Buch noch nicht, aber ist schon erschienen) heisst es
„Er war bis zuletzt ein Werdender.“ - Mit Nadler heisst
es auch Geduld haben; Bettelheim will ihm jetzt,
für den kurzen Abriss (N. Öst. Bio.) ein Ultimatum
stellen. Er, N., wollte zu Weihnacht seine 3. Auflage
fertig machen, da hat er natürlich die neue Arbeit
zurückgestellt. Von Enzinger habe ich mehrere Aufsätze
bekommen; er will seine Tiroler Littgeschichte dem
Andenken meines Mannes widmen - aber das habe
ich Ihnen vielleicht schon erzählt. Von Frau K. bekam
ich eine Karte von ihrer traurigen Winterreise zu ihrem
Bruder - aber wenigstens freut sie sich heim; als nach
dem Ort, wo sie dem Toten am nächsten ist.
Meiner Schwester geht es besser; heut war ich, da ich selbst
etwas unwol bin, zum erstenmal nicht bei ihr, hatte
aber gute Botschaft. - Nochmals alles Liebe Ihnen
Beiden zum neuen Jahr - sein Ende möge Sie, lieber
Herr Studienrat, schon in gesicherter, ruhiger Arbeit
finden. Das wenige, was ich dazu tun kann, soll geschehen;
ich werde keinen Tag zögern. Herzlichst Ihre Hedda Sauer.
Sauer, Hedda: Brief an Reinhold Backmann. Prag, 29.12.1928