Bauer, Leopold: Brief an Adalbert Franz Seligmann. Wien, 8.5.1916
es bisher üblich war, denn die Bauplastik wurde in den letzten
50 Jahren ganz außerordentlich stark vernachlässigt. Es fehl-
te den Bildhauern nicht blos die Erziehung zu einer geeigneten
Mitwirkung an einem Bauwerke, sondern noch viel mehr der enge
Kontakt mit demselben. Eine Statue wurde in der Rotunde herge-
stellt und eine zweite in Hernals und am Bau selbst standen
sie dann friedlich beieinander ; es kann kein Wunder sein,wenn
solche Arbeiten disharmonieren mußten; besonders in unserer
Zeit, die kein gemeinschaftliches Stilgefühl hat. Ich habe
daher am Bauplatz für die Bildhauer ein Ateliergebäude errich-
ten lassen und versuche nun, sie für ihre Aufgaben zu erziehen.
Als wichtigster Grundsatz gilt mir, dass ein Bildhauerwerk,das
irgendwo auf einem Bau plaziert wird, in erster Linie ein Kunst
werk sein muß, sonst ist mir die glatte Mauerfläche sympathi-
scher.
Dieses Programm, so einfach es scheint, stößt auf
Schwierigkeiten. Die ersten Schwierigkeiten bereiten einmal die
Bauherren, weil künstlerische Ausführung von Bildhauerarbei-
ten immer mehr kostet als der übliche Baukitsch, wie er in Wien
leider Mode geworden ist. Ein Bildhauer von Rang arbeitet höchst
selten für Bauten und giebt er sicht einmal dazu her, so wird
er diese Beschäftigung stets mit einem Achselzucken abtun und
wird sich quasi entschuldigen, dass er überhaupt so weit herab-
gesunken ist. Nun bin ich der Meinung, dass man dem Bildhauer
gar keine monumentalere Aufgabe stellen kann als diejenige,bei
einem Bauwerk mitzuarbeiten. Es setzt dies bei dem Architekten
natürlich so viel künstlerischen Takt voraus,dass er sich be-