Bekker, Paul: Brief an Ernst Krenek. Wiesbaden, 15.9.1929
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    Hier kommt nun das, sagen wir:Erstaunliche Deines Ver -
    haltens. Du hast mir nicht die allermindeste Nachricht zukommen las -
    sen, daß ein neues Werk fertig ist, sondern Du hast mir zum ersten
    Mal darüber geschrieben in einem Brief, den ich genau 2 Tage vorher
    erhielt, ehe die Nachricht über die Uraufführung in Leipzig in den
    Zeitungen veröffentlicht wurde.
    Selbst, wenn Du von vornherein entschlossen warst, die
    Uraufführung nach Leipzig zu geben, war ein solches Verhalten mei -
    ner Auffassung nach in keiner Weise der Art unserer bisherigen Bezieh-
    ungen entsprechend.
    Selbstverständlich bist Du nicht verpflichtet Deine Ur -
    aufführungen nach Wiesbaden zu geben. Immerhin möchte ich, so unbe -
    scheiden es klingen mag, doch aussprechen, daß es meiner Auffassung
    nach unter all den Leuten, die heute an der Spitze deutscher Theater
    stehen nicht einen einzigen gibt, der auch nur in annähernd ähnlichem
    Masse wie ich erwarten darf, als erster von Dir benachrichtigt und
    auch für eine Uraufführung in Betracht gezogen zu werden. Meine Äusse-
    rungen in unserem letzten Gespräch in Wiesbaden waren nur so gemeint ,
    daß ich Dich nicht von mir aus unter einen moralischen Druck stellen
    wollte, weil ich zu Dir das Zutrauen hatte, daß Du von selbst die
    Verbindung zwischen uns aufrecht erhalten würdest.Das war nun freilich
    eine Täuschung und darin liegt der Unterschied zwischen uns. Als ich
    seinerzeit die Berufung nach Kassel erhielt warst Du der erste, bei dem
    ich anfragte, ob er zu mir kommen möchte.Das hat weder Brecher noch
    Klemperer getan, obschon sie die Möglichkeit dazu früher gehabt hät -
    ten als ich. Was sich dann später an diese Kasseler Berufung anschloß,
    in welchem Masse die Uraufführung des "Orpheus", an die sich ebenfalls
    kein anderer gewagt hat, für Dich von Bedeutung wurde, will ich