Franzos, Ottilie: Brief an Julius Pée. Wien, 20.12.1922
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Verehrter, lieber Herr Professor! Ich bin immer noch Kinderfräu=
lein, da Frau Dr. Geiger Immer noch in Berlin ist u. ihre Rückkehr in's
Weitere geschoben ist. Es ist ihnen nun hier eine Wohnung zugewiesen, sie
soll in Berlin nun Verpackung und Versendung aller Habseligkeiten leiten.
So komme ich für mich selbst kaum zu etwas und schreibe diese Antwort
auf Ihre beiden letzten Briefe in später, auch nur dadurch freier
Abendstunde, daß meine Schwester nicht zu Hause ist. Inzwischen sind ab=
gegangen: Burckhardt - nur 23.250 Kronen, Dehmel 45.000! Beide
Bücher sind nicht mein Fall, ich habe sie flüchtig durchgesehen, B.-
Politisches interessiert mich wenig, natürlich das ausgenommen,
was heute die Welt bewegt. Was sagen Sie zu Griechenland?!
Aber wohl nicht Anderes, als was jeder Kulturmensch sagen
und fühlen muß. - - - Dehmel ist mir ganz zuwider in
Stil und Gehaben. Gleichzeitig ging als „Vierte“ ab: D. D. II.
Suggestion u. Dichtung u. ein Aufsatz Geigers über Schulze. Die
beiden Bändchen der D. Dichter Gedächtniß St. habe ich nicht, wer-
de sie kommen lassen. - Brief v. 15/11 22. Ja, israelitische Religions-
lehre. Hier nehmen sie im Theresianum, bei den Schotten etc.
nicht mehr als 10 Juden in einer Gymnasialklasse auf unter
dem Vorwand, daß sie sonst einen jüdischen Religionslehrer
anstellen müssten. Unsere Buben werden also auch privat
unterrichtet. Karpeles habe ich flüchtig gekannt. Auffallend
war seine Ähnlichkeit mit Heine, der ja seine „Spezialität“ war.
Kárpeles - betont auf der 1. Silbe. Es gibt viele jüdische
Namen in eles: Abeles, Fleckles - Moscheles dürfte der berühm-
teste sein. - Das Schmiedhufeisen und das halbe - beides zu
nett. - Es ist mir eine unendliche Freude, dass ich Ihnen wirk-
lich Anregung gegeben haben soll. Ich denke mir immer, daß
Ihr „Ausländertum“ eine Schranke zwischen uns sein könnte
und ein Fremder sind Sie mir schon lange, lange nicht!
Für Ihren Brief vom 27. Okt. habe ich sicher schon gedankt und
geschrieben, daß, wenn ich die 50 frncs wirklich für mich be-
halten soll, ich mich vorläufig nur als Ihren Secretär betrachte.
Ihre 50 liegen noch ungewechselt. Im selben Brief wohl hatte
ich Rechnung gelegt. Bisher war keiner Ihrer Briefe ge-
öffnet. Freimarken sind sehr willkommen. Rudolf
fand unter den kürzlich gesandten noch viele, die er
nicht hatte. Vielen Dank. Vorläufig liegt der geliebte kleine
Kerl an einer Halsentzündung. Brief vom 28/11 22. Czort=
kow – Azzent auf der 1. Silbe. Das w wird ausgesprochen,
im Gegensatz zu Bülow, Lützow etc. Am Montag hoffe ich mich