Gräf, Hans Gerhard: Brief an Otto Weissel. Weimar, 6.11.1918
II Weimar, Liszt Str. 23 II, 6. XI. 18.
Sehr verehrter Herr Doktor,
Stets rächt es sich, wenn ich nicht das befolge, was Goethe mich
lehrt. Das hab ich gestern wieder erfahren bei meinem Bekenntniß=
brief an Sie; denn da ich ihn geschrieben, ohne mir vorher das
"Schema" des Inhalts gemacht, d.h. schriftlich festgelegt zu haben,
so ist einiges vergessen worden, was Sie gern wissen wollten, wie
auch anderes, das Sie zum Verständnis des bereits Gesagten
wissen müssen. So hole ich das Versäumte gleich noch nach.
Sie fragten so freundlich, was ich nun zu thun gedenke in Bezug
auf die Kinder, insbesondre auf Hannchen. Gott sei Dank, darüber
haben mich Zweifel keine geplagt, ich sah den Weg von vornherein
klar vorgezeichnet, den einzig gangbaren, wie ich glaube. Wobei
das wohlverstandene Interesse unsres Töchterchen mein einziger Leit=
stern ist. Leider geriet ich dabei mit meiner geliebten Frau in Wider=
spruch u. mußte ihr die Schwere der Tage noch schwerer machen. Sie
hatte es, sehr begreiflicher Weise, daheim nicht länger aushalten kön=
nen in ihrer Sorge um die Kinder, die einsamen Abende u. Nächte
waren ihr unerträglich geworden, umso mehr, je schwieriger gerade
in den Tagen der politische Himmel sich über unsrem teuern Vater=
lande verfinsterte. Der mütterliche Drang, zu helfen, siegte über
die Furcht vor der Ansteckung der Grippe, aus der ich sie immer wieder
gemahnt hatte, doch ja nicht zu kommen, auch um zu ver=