Gräf, Hans Gerhard: Brief an Otto Weissel. Weimar, 6.11.1918
unerschütterlichen Glauben an die Tüchtigkeit u Zukunft beider in Bezug
auf den Beruf, den sie aus innerster Neigung u. auf Grund ihrer Begabung
gewählt haben, und auf den tiefen Ernst, mit dem sie, wie das Leben
überhaupt trotz ihrer Jugend, die Kunst u. die künstlerische Tätig=
keit anpacken. Ich brauche nur ihre Arbeiten anzuschauen, die sie
nun hier zurück gelassen haben; da ist nichts von dem Aberwitz und
Wahnsinn, von der leeren Affektation der Neusten zu finden, sondern
nur solides, grundernstes, ehrliches Ringen nach schlichter Wahrheit,
die, auf der Wirklichkeit, auf der Natur ruhend, über diese hinaus=
führt in das heilige Reich echter Kunst. Amen. -
Ich selbst hoffe nun die entglittenen Fäden meiner eigenen
Arbeiten bald wieder fest gefaßt und in der Hand zu haben, um
sie den Winter hindurch eifrig zu fördern. Daß ich glauben darf,
durch sie auch Ihnen etwas Freude bereiten zu dürfen, steigert
meine Lust u. Liebe dazu. Denn, wie unser Meister, den auch
Sie hoch verehren, sagt: "Denn edlen Seelen vorzufühlen,
Ist wünschenswertester Beruf."
Sie bemerken wohl, daß ich weit entfernt bin, ein "gelehrter Professor"
zu sein, sondern daß ich nur ein "Dilettant" bin im guten, ur=
sprünglichen Sinne des Wortes, dem nicht gemäßer ist, als ein
"Liebewerk nach eignem Willen" zu bereiten. Daß aber in
solchen selten die schwere Kunst versteht, für sein und der Seinigen
materielles Wohl zu sorgen, davon hab ich und die lieben
Meinen leider nur zu viel Erfahrung.
Mit den herzlichsten Grüßen und Wünschen an
Sie und die werten Ihrigen, auch von meiner Frau
Ihr
ganz ergebener
H. G. Gräf.