Gräf, Hans Gerhard: Brief an Otto Weissel. Weimar, 6.11.1918
sicher wird sie bei erster Gelegenheit dieser Einladung folgen, denn ihre Sehn=
sucht umschwebt das Grab der Freundin Tag u. Nacht. Daß es in Mün=
chen, zumal in dieser Zeit, teuer zu leben ist, haben wir freilich an uns selbst
erfahren, umso spürbarer, als alles sich ja in Folge der sonderbaren,
erschwerenden Umstände (Absicht nach Wien zu gehen, Warten auf d. Ein=
reise=Erlaubnis für H. usw.) im Gasthof abgespielt hat! Zum
größten Segen für uns alle in einem solchen, dessen Wirte voll liebevoller
Teilnahme u. Hülfsfreudigkeit waren. Nicht minder günstige Um=
stände haben uns in letzter Stunde unsres Dortseins, 1 Tag vor Abreise
meiner lieben Frau, Werkstatt u. Wohnung für beide finden lassen, u. zwar
unmittelbar neben der Bildhauerschule, die Lili besucht, wo sie auch
bereits angefangen hatte zu arbeiten, als die Katastrophe hereinbrach.
Auch d. Preis ist, wenigstens für Münchner Verhältnisse, mäßig, und
der Wirt, zwar ein großer Sonderling, scheint vertrauenswürdig u. gebildet.
So daß meine gute Frau in dieser Beziehung beruhigt abreisen konnte.
Mir blieb noch die Aufgabe, da der Arzt dringend ein paar Wochen
Landaufenthalt bei guter Verpflegung für die allerdings sehr Erholungs=
bedürftigen forderte, diesen zu suchen. Mit welcher Freude, welchem
Dank hatten wir es begrüßt, daß Vater P. Hannchen eingeladen hatte,
Thildi als Gast auf den Semmering zu begleiten, wo diese sich 4
Wochen erholen sollte! Wie sehr hatte ich gehofft, daß auch die liebe
Frau P. mit dahin gehen würde, um im Verkehr mit der lang entbehrten
Tochter da oben ungestört den Schmerz um den verlornen Bruder
ausklingen zu lassen. - Ich fuhr am Allerseelen=Tage nach Mur=
nau am Staffelsee in Ober=Bayern u. hoffe, dort im Gasthof zur
Post für die Beiden ein gutes Quartier bei guten Menschen gefunden
zu haben. Sie werden, sobald sie reisefähig sind, d.h. Ende
dieser oder Anfang nächster Woche dahin fahren u. etwa 10-14 Tage
ihrer Kräftigung leben, um dann in München ihre Arbeiten langsam
wieder in Gang zu bringen. Dieses neue, aber unvermeidliche, materielle
Opfer muß gebracht werden. Erleichtert wird es mir durch meinen