Gräf, Hans Gerhard: Brief an Otto Weissel. Weimar, 6.11.1918
hüten, daß die Gemüter der Kinder durch abermaliges heftiges
Durchleben im Erzählen aufs neue erschüttert würden. Genug, plötz=
lich telegraphirte sie mir: "Muß die Kinder sehen", u. war am Abend
desselben Tages da. Wie sich herausstellte, zum allergrößten Segen
für uns alle; denn gemeinsames Besprechen u Beraten, sowie gemein=
sames Handeln hat uns über die erdrückende Schwere geholfen. Meine
Frau wollte, besonders in Hinblick auf die polit. Lage, die Kinder zu=
rück nach Weimar haben, auch mit Rücksicht auf die Kosten u. die
Möglichkeit, sie vielleicht besser zu pflegen. Ich dagegen war der Über=
zeugung u. bin's noch, daß für Hannchen das Leben in Weimar, jetzt
ohne Thildi, entsetzlich wäre u. sie für noch längere Zeit fast würde
arbeitsunfähig machen; u. ähnlich, wenn auch nicht in gleichem
Maße, für Lili. Klar war uns eins: Hannchen kann nicht nach
Wien, sondern die Schwestern müssen zusammenbleiben, um sich gegen=
seitig zu helfen, u. das Leben auch zu verbilligen. Welcher Schmerz es
für H. ist, nicht nach Wien zu können, wo sich so manche Aussicht
bot auf Unterricht geben u. Aufträge erhalten, wo sie Beziehungen
erfreulichster Art angeknüpft, zu denen Sie, sehr verehrter Herr
Doktor, sich mit Ihrem herzlichen "Willkommen"=Ruf gesellt
haben, der uns so innig erfreut hat, das ist nicht zu sagen. Jetzt
allerdings sind wir Eltern froh, daß Thildi und H. nicht bereits
dort waren, u. so hat selbst das traurigste Ereignis oftmals eine
Lichtseite, die wenigstens eine Art trüben Trostes gewährt.
Die lieben Prockschs haben sie dringend für später eingeladen, u.