Gräf, Hans Gerhard: Brief an Otto Weissel. o.O., 16.8.1918
der letzten 25 Jahre weit über meine Kräfte arbeiten müssen, um mich
und meine entstehende Familie zu ernähren, und habe immer
einen zarten Organismus gehabt; nun ist in Folge des Krieges
eine jahrelange Unterernährung hinzugekommen, so daß ich trotz
der schweren Zeit mich entschloß, etwas für meine Kräftigung
zu tun. Und da meine liebe Frau so etwas gleichfalls brauchen
kann, habe ich sie mitgenommen. Wir baden fleißig und denken
bis Ende August uns recht zu erholen, um dann wieder tüchtig
arbeiten zu können. Unsre beiden Töchter betreuen inzwischen
Wohnung u. Garten. Aber ihr Sinn steht in die Ferne. Hann-
chen, die ältere, wird gleich nach unsrer Heimkehr mit ihrer
Freundin nach Wien reisen, um ihre Ferien bei Prockschs in
Grinzing zu verleben u. um Umschau zu halten, ob es
ratsam ist, im Herbst ganz nach Wien überzusiedeln. Dies
ist ihr Wunsch seit dem Frühjahr. Denn dort sind die Möglich-
keiten, Unterricht im Zeichnen u. Malen zu geben, sowie Auf-
träge für Bildnisse zu bekommen, ungleich größer als in
Weimar; außerdem bieten die Museen mehr Anregung, u.
drittens ist es in der Tat notwendig (so betrübend es auch [rote Ziffer] 1
[linker Rand; mit roter Ziffer:] 1 für die Eltern), daß junge Bäume verpflanzt werden, um in neuem
Erdreich zu erstarken. Beide Kinder sind darauf angewiesen, einmal, u. [rote Ziffer] 2
[oberer Rand; mit roter Ziffer:] 2 zwar möglichst bald, ihr Brod selbst zu verdienen, selbständig zu wer-
den, u. so haben wir uns bereits hineingefunden, beide in die Fremde
zu lassen, so gern wir auch wenigstens eine bei uns behielten. Wenn
Sie, sehr verehrter Herr Doktor, Ihr gütiges Interesse für mich auch auf un= [rote Ziffer] 3