Hauptmann, Gerhart: Brief an Franz Servaes. Agnetendorf, 9.5.1917
wüchse. Wir wissen indess, dass ein kräftiger Körper mit Krank-
heiten, die ihn etwa befallen, hauptsächlich aus eigenen Mit-
teln fertig wird. Es gibt in New-York eine moralische Brüder-
schaft, der gilt eine Venus von Tizian oder Rubens als Entar-
tung der Kunst. Deshalb dringt sie in die Galerieen von Club-
häusern ein, reisst die Gemälde aus ihren Rahmen und vernich-
tet mit ihnen zugleich ihre Anstössigkeit. Von einem ähnlichen
Purismus wollen wir uns die künftige deutsche Kunst nicht
verfolgt denken.
Ich schliesse, verehrter Herr Servaes, indem ich
Sie bitte, der Versammlung zum Ausdruck zu bringen, dass ich
in den Mahnruf, die jungen Dramatiker zu stützen und nach Men-
schenmöglichkeit zu fördern, von Herzen einstimme. Selbstver-
ständlich darf der deutsche Dichter nicht „hungern“, weil
der grosse Fremde „zu essen“ hat. Aber ich denke, das Brot ge-
nügt für beide.
Mit wärmsten Grüssen, verehrter Herr Servaes,
Ihr
ganz ergebener
Gerhart Hauptmann