Haus, Anton von: Brief an Lucia von Fries-Skene. Pola, 17.11.1916 - 29.11.1916
lange unbekannt gebliebene, edle Herz,
lauscht er schon in atemloser Spannung,
was er von diesem Herzen wieder
hören wird. Ist ihm doch dieses Herz das
Allerheiligste im Tabernakel der
Natur! Was soll, was kann er denn
sonst anbeten? Und nun erschließt
sich ihm dieses Allerheiligste in edel=
ster sincerity, u. drinnen in einem tiefen, rei=
nen, klaren Winkel sieht er sich selbst,
rein von allen irdischen Schlacken,
in Gesellschaft ihrer Heiligen, Helden
u. Verwandten des Geistes, aber, wie es ihm
scheint, ist sein Platz ein Ehrenplatz, wie
der im heiligen Hain! Was ist auch
hier nicht Ehrenplatz?
Unendlicher Jubel durchzittert Tom's
Seele. Im ersten Anfall des Deli=
riums schickt er sich an, drei Pur=
zelbäume zu schlagen, aber von
mir zur Besinnung u. zum Bewußtsein
seiner Würde gebracht, sinkt er
vor der lieben Freundin auf's
Knie u. küßt voll unausprechlicher
Andacht u. Inbrunst den Saum ihres
Kleides; er betet zu ihr: „Möge es
nie anderst werden, solange du
Freude an mir findest! Und dann,
wenn ich scheide, möge es dir eben=
so leicht sein, wie damals, genau
vor einem Jahre, als du das erste=
mal von mir gingst u., unbewußt,
mein Herz mitnahmst!”