Haus, Anton von: Brief an Lucia von Fries-Skene. Pola, 17.11.1916 - 29.11.1916
andere Ende von der lieben Freundin noch
festgehalten wird, dann kommt es über
mich, wie Sie im vorletzten Teil dieses u.
meines vorigen Briefes gesehen: eine
tiefe Niedergeschlagenheit wegen des un=
befriedigten Sehnens u. eine noch stär=
kere Unzufriedenheit mit mir selbst, weil
ich dieses Gefühls nicht Herr werden kann.
Das Gefühl ist da; der Verstand sagt zwar
„Unsinn!” u. hat vieles vorzubringen;
aber die Unmöglichkeit kann er natür=
lich nicht beweisen u. das dumme bange
Herz seufzt: „Ist es also wirklich aus?” ob=
wohl es im Innern glaubt, daß es wahr=
scheinlich doch noch nicht so arg ist. Am 15.
entsprang aus dem Sehnen die Erkennt=
nis, wie nahe Sie meinem Herzen in
Gedanken u. auf dem Papier stehen u.
wie trostlos ferne in der Wirklichkeit,
so daß das Verlorengehn eines einzigen
Briefes schon das Ende unserer Freund=
schaft oder doch unseres weiteren Verkehrs
zur Folge haben kann. Seither taucht die=
ses häßliche Phantom jedesmal auf, wenn
die Post langsamer ist, als meine auf
genauer Berechnung gegründeten
Wünsche. Daß ein Brief nicht zu Ihnen
eilt, sondern 9 Tage wartet, bis Sie
zu ihm kommen, ist eine ganz neue
Erfahrung. Ebenso, daß ein Brief, wenn
er fertig geschrieben ist, noch 5 Tage
wartet, bis er sich in Wien auf die Bei=
ne macht. Und wenn ich versuche, mir
so etwas zu erklären, stoße ich immer
gleich auf dieselbe große Schwierigkeit:
ich weiß so gar nichts von Ihnen, was ich
zu einer Erklärung brauche, u. komme