Bartsch, Rudolf Hans: Brief an Unbekannt. Wien, 10.11.1915
keine Rede mehr oder nur selten und spärlich , die furchtbarsten De=
pressionen , dazu Schmähbriefe aus Deutschland und Drohungen , mich zu
boykottieren ( das heißt den Verkauf meiner Bücher.) Wenn ich über das
wohl auch weit hinwegsehe , so trifft es mit meiner jetzigen Stimmung
doch schlecht zusammen ! Auch der schändliche und über alles niedrige
und schäbige Verrat eines Freundes , der das Vertrauen , das ich ihm
in einer seinerzeitigen Liebesangelegenheit schenkte , zu Erpressungen
und Betrügereien benützte , hat mich tief , tief getroffen , da ich
diesen Menschen als ein Stück Jugenderinnerung sehr liebte . So lebe
ich freud= und hoffnungslos dahin und kann nicht einmal mehr arbeiten.
In ein Sanatorium getraue ich mich schon gar nicht ; da griffe ich nach
wenigen Tagen zur Browning ! Stundenlange Weinkrämpfe ohne Grund , ohne
Ziel ; inzwischen wird an meinem Häusel in Baden gearbeitet , ohne daß
ich bisher ein einzigmal die Energie gefunden hätte , auch nur hinaus=
zusehen ; ich fürchte mich zu sehr vor einer Dummheit oder Gemeinheit,
die mir da draußen inzwischen wieder gemacht worden sein könnte ! Die=
ser Zustand ist so qualvoll , daß , wenn ich mir nicht immer Dein Bei=
spiel vor Augen halten könnte , ich vielleicht schon meinem Leben ein
Ende gemacht hätte ; Daß Du gesund wurdest ist mein einziger Trost ,
den ich mir , neben der Aussicht , ebenfalls wie Du in Baden zu genesen,
immer mit aller überbliebenen Willenskraft vor Augen halten muß ! Von
meinen Freunden kann ich sonst keinen sehen ; ich fürchte mich vor jedem
menschlichen Gesicht ; die paar Stunden mit dir in Baden waren die
letzten relativ glücklichen . Ich habe den Alkohol abgesagt , es hilft
auch nichts . Trotz meiner Angst vor Menschen werde ich heute doch wie=
der zu dir ins Archiv schauen , um mir nur ein wenig Beruhigung zu
holen . So schließe ich denn mit einem "Auf Wiedersehen!" Bleib mir gut
wie ich Dir ! Dein treuer alter Rudolf Hans
Bartsch
Fr. R