Kienzl, Hermann: Brief an Wilhelm Kienzl. Wilmersdorf bei Berlin, 31.3.1927
Von Franziska höre ich, daß Du das Schicksal des
armen Putzi, Frau Biwanka, in der Schreigasse bei
Hansi einquartiert hast. Also seid Ihr wohl der
Überzeugung, daß die Sache als unabwendbar an=
zusehen sei ... Daß ein Weib eines Menschen Schicksal
wird, ist ziemlich alltäglich. Das Rätsel besteht
hier nur im Lebensalter und in der Reizlosigkeit
der Dame. Ein bissel Johann Sebastian Bach (von
zweifelhafter Bedürfnisherkunft!) kann doch
unmöglich der rechte Bettersatz sein!
Den alten Mödlinger traf ich unlängst. Er wird
in diesem Jahre achtzig - und singt noch immer bei
Vereinsveranstaltungen! Materiell (und auch kör=
perlich) geht's ihm gut, denn sein Sohn hat eine glän=
zende Stellung in einem Industrie=Unternehmen.
Das Ninerl ist sehr herzig und einige Jahre
über ihr Alter hinaus geistig geweckt. Nun wird sie
Haus= und Gartenbesitzerin werden. Ja, Hans hat
eine kleine Villa, die schon fast ausgebaut ist
und zwischen Tielplatz und Zehlendorf steht, gekauft
- und im Juni oder, wenn da Kind vorher noch an
die Nordsee geschoben wird, im Spätsommer ziehen
sie ein.
Nun hab ich genug geklatscht! Anzuschließen ist
noch, daß Floh von dem ihn künstlerisch wenig befriedigenden
Berliner Theater in der Klosterstraße fort will, also voraus=
sichtlich in der nächsten Saison nicht mehr bei uns sein wird.
Lebwohl, lieber Alter! Grüß mir Henny und Hansi
herzlich - auch den Putzi! Dein Hermann.