Kienzl, Wilhelm: Brief an Helene Kienzl. Graz, 5.4.1917
N.S. Der von Dir angekündigte Brief mit Programm,
Adresse Glacisstraße, kam bisher nicht an. - Von der
Gutheil=Schoder erhalte ich keine Antwort, von Duhan
höre ich nichts. Vom Kienzl-Fonds erfahre ich nichts, nichts
von Gregor! - Meine Seele tobt nach Lenzeslust, möchte
alle Bande sprengen u. möchte doch - in der Kerkerzelle
schmachten!! Ist mir zu helfen? Sag' es selbst! -

6. April 1917.
Eben kommt liebenswürdiger Brief von der Gutheil-
Schoder, in dem sie auf alle meine Wünsche eingeht.
Bitte, danke ihr in meinem Namen telefonisch für
ihr Entgegenkommen. - An Duhan schrieb ich
nun auch. - Hat Duhan den „Don Quixote“ schon
zurückgebracht? Das interessiert mich. -

Marie zeigte mir Euer liebes Telegramm an
sie. Wie lieb u. gütig Ihr seid! Ich merkte wohl,
dass es ein Gedicht, d.h. Verse, sind.

Gestern war Kalin bei mir. Lili erschien sofort
in meinem Zimmer u. klagte dem Freund herz-
zerreissend vor. Er sagte ihr eine Unterredung
unter vier Augen zu. Obwohl sie ihm erbarmt,
sehr erbarmt, steht er auf meiner Seite. Du
hast keinen Begriff, wie sie sich kränkt. -
Um endlich dem ziellosen Reden ein Ende zu machen,
ging ich an's Klavier u. spielte Bach-Liszt's Variationen
über ‚Weinen, Zagen, Sorgen, Klagen‘, Chopin's H-moll=
Sonate, die ich Euch so oft vorgespielt, u. Brahms' F-moll
Sonate mit dem wundervollen Liebes=Andante,
worauf ich mit Kalin fortging. - -
Für heute Schluss.
Osiris.