Necker, Moritz: Brief an Sophie Lotheissen. o.O., 11.8.1914
Mittwoch, 12. VIII.
4½ N.M.
Es war gestern ½ 2 Uhr nachts, als ich zu schreiben aufhörte. Heute
hoffte ich einen Brief von Dir zu erhalten, aber es kam keiner. Die Post
scheint noch immer u. in ganz Oesterreich nicht ordentlich zu gehen. Von Dr
Adolf Koelsch = Zürich kam heute ein Artikel, den er am 31. Juli rekom-
mandiert abgeschickt hatte. Diese Abgeschlossenheit von allem Brief-
verkehr, die sich auch auf die reichsdeutschen Zeitungen erstreckt, macht
das Leben hier schon gar bange. Man erfährt nur das von den Vorgän-
gen auf den Kriegsschauplätzen, was die einzelnen Generäle wollen,
welche die Feldpost u. Presse überwachen. Nicht einmal die belletristi-
schen u. illustrierten Zeitungen, auch nicht die Fliegenden Blätter
kommen herein. Es wird ein unleidlicher Zustand.
Heute erhielt ich von Ignotus einen rasenden Brief darü-
ber, dass keine Feuilletons erscheinen. Pötzl, meinte er, hätte sich dage-
gen gewährt. Nun führe ich aber die ganze Woche einen Kampf ums
Feuilleton, von dem das ganze Bureau weiß u. konnte Ignotus
also mit reinem Gewissen antworten, dass ich meine literarische Pflicht
kenne u. tue. Da jeder Artikel von der Zensur begutachtet werden
muß, kannst Du Dir leicht denken, wie schwer mein Stand ist, für
Feuilletons zu sorgen, die auch zeitgemäß wären.
Gestern u. heute nahm ich Luisen zu den 3 Raben mit, damit