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Rosa Welt=Strauss hat lange Jahre in New-York ihren augen-
ärztlichen Beruf ausgeübt. Nach dem Tode ihres Mannes ist sie mit
ihrem einzigen Kind nach Jerusalem übersiedelt. Diese Tochter
war nämlich plötzlich, nicht zu verstehen wieso, Zionistin gewor=
den. Sie ist nun mit einem Lehrer in Jaffa verheiratet. Rosa
lebt in Jerusalem und steht mit an der Spitze des Frauenrechte=
kampfes. Ihren Beruf übt sie nicht mehr aus. Wie ein Märchen ist es,
daß der kleine jüdische Handelsmann es vor mehr als 50 Jahren
in Czernowitz durchgesetzt hat, was erst die spätere westeuropäi-
sche Frau angestrebt und erreicht hat: seine vier Töchter haben
das Doktorat gemacht, drei sind angesehene Ärzte, eine ist
Chemiker geworden. Rosa W.=St. war im vergangenen
Herbst in Wien, hat mich auch aufgesucht, wir waren
mehrere Male zusammen, haben uns aber innerlich
nicht gefunden. Ich fürchte, ich bin auf meine alten Tage
ein wenig eigenbrödlerisch geworden.
Die Krawalle in Wien waren gegen das, was
Berlin und München und manche andere deutsche
Stadt in der Nachkriegszeit erlebt hat, nicht so schlimm.
An und für sich waren sie arg genug. Werte um Millio=
nen sind sinnlos zerstört worden. Ich in meiner Vor-
stadtgartenwohnung habe nichts gemerkt, habe mir
nur nachträglich die mit Holz verschalten Gebäude
angesehen. Mein amerikanischer Freund meint,
es sei antisemitisch gewesen und hätte uns, das
heißt Wien, auch darum in Amerika sehr geschadet.
Davon war aber keine Rede. Es waren leider
wieder zum großen Teil Jugendliche, die Jugend
ist maßlos verroht, die blindlings wüteten. So
wurden z. B. sämtliche Dokumente der Invaliden,
der Kriegswitwen & Waisen zerstört, die Weihnachts
gaben für diese, Gemälde zerschnitten etc. etc.
Verehrter Herr Professor, nun soll dieser Brief aber
morgen so weit er eben ist, abgehen. Ich muß für ein
paar Tage unterbrechen. Börne geht auch ab. Die
Rosa Welt=Strauss hat lange Jahre in New-York ihren augen-
ärztlichen Beruf ausgeübt. Nach dem Tode ihres Mannes ist sie mit
ihrem einzigen Kind nach Jerusalem übersiedelt. Diese Tochter
war nämlich plötzlich, nicht zu verstehen wieso, Zionistin gewor=
den. Sie ist nun mit einem Lehrer in Jaffa verheiratet. Rosa
lebt in Jerusalem und steht mit an der Spitze des Frauenrechte=
kampfes. Ihren Beruf übt sie nicht mehr aus. Wie ein Märchen ist es,
daß der kleine jüdische Handelsmann es vor mehr als 50 Jahren
in Czernowitz durchgesetzt hat, was erst die spätere westeuropäi-
sche Frau angestrebt und erreicht hat: seine vier Töchter haben
das Doktorat gemacht, drei sind angesehene Ärzte, eine ist
Chemiker geworden. Rosa W.=St. war im vergangenen
Herbst in Wien, hat mich auch aufgesucht, wir waren
mehrere Male zusammen, haben uns aber innerlich
nicht gefunden. Ich fürchte, ich bin auf meine alten Tage
ein wenig eigenbrödlerisch geworden.
Die Krawalle in Wien waren gegen das, was
Berlin und München und manche andere deutsche
Stadt in der Nachkriegszeit erlebt hat, nicht so schlimm.
An und für sich waren sie arg genug. Werte um Millio=
nen sind sinnlos zerstört worden. Ich in meiner Vor-
stadtgartenwohnung habe nichts gemerkt, habe mir
nur nachträglich die mit Holz verschalten Gebäude
angesehen. Mein amerikanischer Freund meint,
es sei antisemitisch gewesen und hätte uns, das
heißt Wien, auch darum in Amerika sehr geschadet.
Davon war aber keine Rede. Es waren leider
wieder zum großen Teil Jugendliche, die Jugend
ist maßlos verroht, die blindlings wüteten. So
wurden z. B. sämtliche Dokumente der Invaliden,
der Kriegswitwen & Waisen zerstört, die Weihnachts
gaben für diese, Gemälde zerschnitten etc. etc.
Verehrter Herr Professor, nun soll dieser Brief aber
morgen so weit er eben ist, abgehen. Ich muß für ein
paar Tage unterbrechen. Börne geht auch ab. Die