Franzos, Ottilie: Brief an Julius Pée. Wien, 6.1.1923
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Wir fielen drum dem Gott nicht ab,
Nur fühlten wir uns freier.
Wenn wir statt seinem Schlangenstab
berührt die goldne Leyer.
Das klang so hell, das sang so schön -
Schuld trugen wohl die Lerchen,
Sie lockten uns nach Thal und Höh'n
Aus dumpfen Stubenpferchen.
Es trugen auch die Blumen Schuld,
Es galt - botanisieren:
Um Mädchenbrust für süße Huld
Mit einem Strauß zu zieren.
So sangen auch verführerisch
Verliebte Nachtigallen;
Wie war's so schön und jugendfrisch
Im Mondenschein zu wallen.
In Schänken auch, die Becher voll,
Wir saßen oft zusammen -
Verzeih's du heiliger Apoll!
Und tranken süße Flammen.
Du bist ein Flammengott doch auch
Und lenkst durch's All die Sonne;
Wir fühlten freier Zukunft Hauch,
Und Licht war unsre Wonne!
Noch manche Sünde übten wir
Mit fröhlichem Behagen;
Spürst etwa Reue Du in Dir?
Von mir kann ich's nicht sagen!
Was wir gefühlt , was wir geschaut,
Nicht in Kollegien eben,
Wir haben's aller Welt vertraut
Gesungen hinaus in's Leben!