Franzos, Ottilie: Brief an Julius Pée. Wien, 29.7.1924
18/8 24
ich wieder die 2 dicken Bände Fontane'schen Briefe an seine
Familie gelesen und bin wieder entzückt - trotz seines
Antisemitismus. Von den Herausgebern freilich bin
ich nicht entzückt. Die Briefe hätten nichts verloren bei
Weglassung der zahllosen Stellen scharfer Kritik gegen
seine Frau, mit der er doch in bester Ehe gelebt hat.
Kennen und schätzen Sie Fontane wie ich?
Geigers sind erst am 9. Früh weg, Mittag kamen
meine Hausgenossen zurück. Ich hatte mich doch sehr
an sie gewöhnt. Aber die Einsamkeit bleibt das Beste!
Mit meinen Hausgenossen lebe ich nicht.
Über Pennings möchte ich doch ein Wort sagen, da ich
eine Aufklärung wünschenswert fände. Ich weiß, es
ist sehr töricht mit 68 Jahren noch über Undank er-
staunt zu sein! Ich recapituliere: Jan kam vor mehr
als 2 1/2 Jahren nach Wien und brachte mir eines Ihrer
gütigen Pakete. Er war sehr einsam hier. Wenn ich
alte Frau ihm auch wenig bieten konnte, besonders
da er keinerlei lit. Interessen hat, so schien es
ihm doch sehr behaglich zu sein, alle 8 Tage zum Tee
die Füße unter meinen Tisch zu strecken. In 4
Häuser führte ich ihn ein. Im vorvorigen Sommer waren
wir einmal zusammen in Schönbrunn, einmal
lud er mich in den Stadtpark. Als Anton hierher -
kam, verschaffte ich die Adresse für seine Anstellung.
Nachdem die beiden Brüder einander hatten,
lud ich sie nur alle paar Wochen einmal zum
Tee. Als im vorigen Jahr die Eltern hier waren,
waren sie reizend zu mir - Jan muß also
Gutes von mir erzählt haben.
Nun waren Beide vor wohl mehr als 2 Monaten
bei mir, nach ihrer Rückkehr von der silbernen
Hochzeit der Eltern. Sie frugen, während wir
beim Tee saßen, um meinen Rat bezüglich