Gräf, Hans Gerhard: Brief an Otto Weissel. o.O., 16.8.1918
gewöhnlichen Umständen werden Sie entschuldigen, daß
ich das Briefgeheimniß nicht gewahrt habe, sondern
den Meinigen Ihre guten, enthusiastischen, Goethe=begeister=
ten Worte sogleich mitgeteilt, d. h. den Brief frischweg
vorgelesen habe. Alle riefen Bravo! und stimmten in
den Preis Ihres guten Herzens und Ihrer jugendlichen
Begeisterung ein, denn auch sie sind, jeder in seiner Weise
Goethe=Enthusiasten. Mittags haben wir dann eine Fla=
sche 1893er entkorkt, die uns gestiftet worden war, und
auch auf Ihr Wohl angeklungen. Sie sehen, Ihr Schuß
hat ins Schwarze getroffen! Aber noch mehr, was Ihnen
Spaß machen wird! Die Freundin meiner Tochter, die mit
am Tische saß, ist nicht nur eine Wienerin, sie kennt
Sie sogar, es ist Thildi Procksch, eine Tochter des Dr.
Rudolf Procksch, Rechtsanwalt, Wien, Piaristengasse,
der Ihnen wohlbekannt sein dürfte! Wieder ein Beispiel,
wie sich in unserem Zeitalter der Eisenbahnen und des
unerhört gesteigerten Verkehrs der Menschen die Fäden oft
[oberer Rand; mit roter Ziffer:] 4 an ihrer schlichten, einfachen Persönlichkeit Freude haben, sie ist ein
ernster Mensch, der es mit Arbeit u. Kunst ernst nimmt, lang-
sam u. gründlich arbeitet u. also sich auch langsam entwickelt.
Entschuldigen Sie, daß ich die Ränder vollschreibe, was sonst nicht
meine Art ist; aber auch das Briefpapier wie das zum Drucken wird all= [rote Ziffer] 5
[linker Rand; mit roter Ziffer:] 5 mählich höllisch knapp bei uns. Möchte es bei Ihnen längst aufgehört ha=
ben zu regnen u. Ihr Ferienaufenthalt vom Wetter so begünstigt werden wie das [rote Ziffer] 6