Haus, Anton von: Brief an Lucia von Fries-Skene. Pola, 17.11.1916 - 29.11.1916
Kann da noch viel für Sie in mir übrig
bleiben? Woher kommt dann alles, was
ich für Sie fühle? Diese ganze Welt von
Gefühlen? Gehören mein Herz u. all
mein Denken nicht ganz Ihnen? Hul=
dige ich nicht Ihnen mit jeder Faser
meiner Seele? Ach, außer dem stets
ruhigen, warmen, liebevollen Her=
zen, das meiner Frau gehört u. bleibt,
muß noch ein Extra-Herz von Tom
da sein, ein ewig unruhig, oft schmerz=
lich pochendes Herz, voll unsagbaren
Sehnens, intensiv empfindlich, himmel=
hoch jauchzend, zu Tode betrübt, unstill=
bar durstend nach Gedanken von
ihr, nach dem Anblick von ihr, seiner
Königin! So ein närrisches Herz könn=
te meine Frau gar nicht brauchen, wür=
de sie nur erschrecken, wenn es sich
bemerkbar machte. „Warte, bleib'
ruhig! Ich bringe dir gleich eine
Limonade,” würde sie wahrschein=
lich sagen. Sie, meine liebe Freundin,
können nun dieses Herz auch nicht
brauchen u. hätten wohl lieber, es
wäre etwas anderst. Aber Sie
wissen, daß es anderst nicht sein
kann; u. daß es zahm u. folgsam
ist, wie ein Kanarivogel; daß
es nichts verlangt u. nichts hofft
u. so unendlich dankbar ist für
alles, alles, was von Ihnen kommt;
u. daß es nichts will, als Sie anbeten,
u. geben, geben, sich geben! Geben