Haus, Anton von: Brief an Lucia von Fries-Skene. Pola, 1.11.1916 - 4.11.1916
2)
u. hundertmal Nein! Sage der Pflanze, sie
solle nicht weiter, dem Sonnenlicht entgegen=
wachsen, u. ja nicht blühen, weil dies sie
erschöpft u. ihr Verwelken bringt! Sie
wird dir dankbar sein für den weisen
Rat, gradeso wie ich. Bin ich es, der un=
ter der Sonne belebenden Strahlen
alles, was in mir ist an Gutem, Edlem,
Starkem, aus mir hinausdrängt, um
der Sonne eine Blüte darzubringen,
die unter ihren Strahlen sehr bald ver=
welken muß? Oder ist es die Sonne,
die, was in mir lebt, in Bewegung
setzt, alles zu sich heranzieht, damit es
sich forme zu neuem Gebilde u. entfalte,
was es an Formideen, Farben u. Duft
hervorzubringen vermag? Lebens=
steigerung zum Höchsterreichbaren, das
ist die Funktion der Sonne, die es unbe=
wußt tut. Sage der Sonne, sie möge
aufhören zu strahlen! Dann ist es bald
aus mit meinem ganzen Wachsen u. Blühen -
"O you blooming fool! Weißt du nicht, daß es
noch ein Drittes gibt? Wie wäre es, wenn
man dich, wie eine Spargelpflanze, mit einem
Topf zudeckte? Von der Sonne Strahlen ver=
schont, würde dir auch alle Lust zu blühen
vergehen; du könntest dann gemächlich
in die Breite wachsen u. ein nützlicher,
dicker, schmackhafter Solospargel werden.
Wäre dies nicht vernünftiger, als alle deine
Kräfte in ewiger Unrast u. ebullition an
eine armselige, späte, letzte Blüte zu wen=
den, die du, ohne verhöhnt zu werden, doch
Niemand zeigen darfst?" - "Hm, hm! Ja,
wenn sie Spargel gerne hat, u. von Zeit
zu Zeit nachsehen kommt, wie ich unter dem
Topf gedeihe, u. an meinem Wachsen Freude