Kienzl, Hermann: Brief an Wilhelm Kienzl. Wilmersdorf bei Berlin, 31.3.1927
Auch in Berlin wurde Dein 70. Geburtstag von allen Leuten
besprochen, obwohl die hiesige Presse, besonders das
Berliner Tageblatt, ihn ärgerlich wenig beachtete -
sehr im Gegensatz zur deutschen Presse im Allgemeinen.
Aber der alte Bie hat sich im Börsen=Kurier
herzlich in's Zeug gesetzt!
Jetzt wird Dich die großartige Wiener Beet=
hovenfeier wiederum heftig in Anspruch genommen
haben. Hätte ich ein Klavier, so würde ich
dem Tag mit meinem „einzigen” Klavierstück,
der Ouvertüre zu den „Ruinen von Athen”,
die rechte Weihe gegeben haben! Erinnerst Du
Dich übrigens, daß ich lange vor Hofmannsthal
die Absicht hatte, den Text zu bearbeiten,
ihn des Charakters einer ungarischen Gelegen=
heitsdichtung zu entkleiden und auf die
Grundlage einer tragfähigen Idee zu stellen -
bei voller Schonung der meisten sehr guten Gesangstexte
und in Anlehnung an den poetischen Charakter
des Originals. Ich dachte dabei an einige Ergän=
zung der Partitur aus anderen Beethoven'schen
Musikstücken und fragte Dich um Rat. Du rietest
mir ab. Aber besser als die Hofmannsthal'sche faule
Sache wäre mein (damals skizzierter) Textentwurf
sicher gediehen!