Franzos, Ottilie: Brief an Julius Pée. Wien, 11.1.1922
3
sagen Sie es mir ganz ehrlich, wenn ich Ihnen allzu ausführ-
lich bin! - J. J. David †- Sie finden seine ersten Gedichte
im "Dichterbuch aus Öst.", hat einen großen Leser= und
Anhängerkreis: Gesamt=Ausgabe. Ich kenne nichts von
seinen zahlreichen Erzählungen, bin überhaupt im
letzten Jahrzehnt oder länger, hauptsächlich Memoiren=
leserin gewesen, wie ich schon schrieb. - Jakob Wasser=
mann, derzeit einer der bekanntesten, um nicht
zu sagen berühmtesten Romanschriftsteller mit seiner
lüsternen "Renate Fuchs" , seinem "Kaspar Hauser",
seinem gräßlichen, widerlichen Wanschaffe, der
einen ungeheuren Kreis von Bewunderern hat.
Er soll zwei Bände schöner Novellen geschrieben
haben. In der N. Fr. Presse erschien vor ein paar
Monaten eine - bis auf den völlig versagenden Schluß -
wunderbare Erzählung von ihm: Sturreganz. - Adalbert
Meinhardt †, Frl. Hirsch, Wiener Familie, längst nach
Hamburg gezogen, mit sehr schönen Novellen, vor
Allem: Heinz Kirchner - wunderschön! - Selma Heine - eine
Cousine der Lassalle-Racowitza. Julius Stettenheim † "Wespen"
einer der witzigsten Köpfe, nannte sich in seinen "Kriegs-
berichten" vom Schreibtisch aus - nicht vom letzten Krieg - Wippchen"
& hat zahlloses Humoristisches geschrieben. Peter Altenberg †, ein
Wiener, Richard Engländer, besonderes Genre kleiner Skizzen,
viele Anerkenner; mir völlig unverständlich als Literatur.
Romanschriftsteller wie z. B. Felix Holländer wären
wohl noch eine Reihe zu nennen. Ich bitte nochmals
meine Bemerkungen nicht als Kritik, sondern als
Geschmack aufzufassen. Gute Nacht!
12/1 22. Ich sollte, was sollte ich Alles! Ich, die größte Pedantin habe nun
kein Kleid und keinen Strumpf. Die Paare sind auf elf zusammen=
geschmolzen - in Ordnung, weil meine schwachen Kräfte es nicht
leisten können, Neuanschaffungen und Hilfskräfte unmög=
lich sind. Ich folge aber dem Zuge meines Herzens und