Haus, Anton von: Brief an Lucia von Fries-Skene. Pola, 30.11.1916 - 8.12.1916
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der Welt! Quand on meurt, c'est pour
longtemps. —
2.XII. Tagsüber kam ich heute, wie gewöhn=
lich, nicht zum Schreiben. Um 10 Uhr Abend,
enfin seul, bedrohte ich Sie schon mit der Fe=
der, schrieb das Datum, las aber dann
vorerst Ihren letzten lieben Brief
von Triest, dann den letzten von
Wien, dann den vorletzten u. dann
den ersten von Wien. Hm! Die um=
gekehrte Ordnung scheint mich verwirrt
zu haben; ich mußte sie alle in der chro=
nologischen Reihenfolge wiederlesen.
Und da versank ich in's Sinnen u.
Sehnen! – Mitternacht schlich ganz still
vorüber. – Mein Herz war schwer,
zu voll, um etwas Geordnetes, zum
Lesen Geeignetes für Sie herauszu=
schöpfen. Da schrieb ich, da das Datum
schon angesetzt war, diese paar Zei=
len. Haben Sie auch Gedanken, die
nicht auf's Papier kommen können?
Ach, wenn ich Ihre Seele ausschöpfen
könnte!
3.XII. Beinahe wäre es mir ergangen, wie
gestern. Wenn ich Sie zu lesen anfange,
geht es mir gewöhnlich so. Sogar in Ihre
Schrift auf dem Couvert verschaue ich
mich auf 5-10 Minuten. Heros are looking
deep & rejoicing in it. Aber in Ihre Seele reicht
mein Blick nur so tief, als Sie mir in Ihren
Briefen zeigen u. immer scheint mir ungeheuer
viel verhüllt, u. nie, nie würden Sie
mich so frei darin lesen lassen, wie ich
Sie. In Wirklichkeit hat es noch nie zwei
Menschen gegeben u. wird es nicht geben,