Haus, Anton von: Brief an Lucia von Fries-Skene. Pola, 30.11.1916 - 8.12.1916
4. XII. Soll ich Ihnen einen kindischen Traum des ar=
men Tom verraten? Es ist eigentlich eine
wunderbare, famose Idee, für deren
durchaus mögliche Realisierung ich mit
Freuden ein Jahr meines Lebens hingä=
be. Das Leben wäre bei Verwirklichung der
Idee für mich so unendlich schöner, freuden=
voller, daß ich dann von diesem Leben all=
zuviel gar nicht gerne hergeben möchte.
Vor einigen Wochen, nach der Kino-Vor=
stellung in der Offiziersmesse, leuchte=
ten Tom's Augen u. er platzte gleich her=
aus: „Heute waren die Bilder beson=
ders schön u. klar. Ach, wenn sie doch
sie brächten! Am Frühstückstisch, u. dann
ihr ganzes Tagwerk, zu Hause durch
die Gemächer wandelnd - ob sie da auch
so fest auftritt, wie auf Deck von Viribus? -,
dann, ja dann? - was macht sie den gan=
zen Tag? – Wir wissen ja gar nichts von
ihr!!! – Also alles zeigen uns die Bilder,
Ausgang, Kirche, Besuch von ihr u. bei
ihr – ob sie mit allen so lieb ist, wie mit
uns? –, am Klavier, beim Speisen, in
Gesellschaft u. allein, beim Lesen, ach,
am Schreibtisch!!! Wenn sie unsere Brie=
fe liest.– Wie schaut sie da? ernst? lieb
u. sanft? ach, wenn sie doch lächelte! gähnt
sie nicht auch? Jetzt nimmt sie die Feder
in die Lilienhand; – warum sie die Füll=
feder nicht mag? im 20. Jahrhundert! Aber
im Kino schreiben alle immer nur mit
Tunkefeder. Wie hält sie sich beim Schrei=
ben? den Kopf? u. wie schaut sie, wenn sie
uns schreibt? denkt sie nach? schaut sie auf?
wie? freundlich? spöttisch? wehmütig?
Ach, da ist sie, ganz nahe, 2-3 Meter von uns
u. weiß nicht, daß wir sie sehen, jeden Zug